22 Jan Bericht 2018
Sexueller Missbrauch: „Das bestgehütete Geheimnis der Welt 1“
Erschreckend aber leider wahr! Um es mit den Worten der Amerikanischen Autorin Florence Rush hervorzuheben, ist sexueller Kindesmissbrauch das bestgehütete Geheimnis der Welt. Im Hintergrund dieses Berichts legen wir das gleichnamige Buch mitsamt des Interviews der Psychoanalytikerin Alice Miller zugrunde. Nachdem sich Miller ausführlich mit den Folgen des sexuellen Missbrauchs des Kindes und deren Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung befasst hat, kommt sie zu der erschreckenden Erkenntnis, die sowohl kulturell als auch wissenschaftlich belegbar ist, dass in unserer Gesellschaft nicht der sexuelle Missbrauch an sich verboten ist, sondern das darüber sprechen. Eine gesellschaftliche Duldung, die durch keine Sozialschicht Halt macht. Ihrer Untersuchung nach hat jede Frau sexuellen Missbrauch im Kleinen oder großen Ausmaß erlebt.
Betrachten wir nur einmal den Inzest innerhalb der Familie, der auch in der Betrachtung der Märchen in Widersprüche und Verworrenheit gehüllt ist.
Ärzte, Therapeuten, Sexologen und Forscher sind sich noch uneinig darüber, ob ebensoviele Jungen wie Mädchen geschändet werden, ob beide die gleichen Traumata davontragen, ob Kinderschänder normal, neurotisch, psychopathisch sind, ob sich das kindliche Opfer in irgendeiner Weise zu einer sexuellen Begegnung anbietet oder ob das Verhalten des Sexualtäters auf eine gestörte Mutterbeziehung oder eine zerrüttete Familie zurückzuführen ist.
Zahlen belegen2 und auch hier greifen wir auf die wissenschaftlichen Abhandlungen zurück3, dass Millionen Fälle und bis zu 35 Millionen Personen während ihrer Kindheit eine sexuelle Begegnung mit einem Erwachsen erlebt haben. Begonnen mit der Erinnerung aus den Kindheitstagen wurden 150 Frauen befragt, ob sie sich an einen sexuellen Missbrauch aus ihrer Kindheit erinnern können. 95% der Frauen konnten diese Frage bejahen. Und selbst die 5%, die die Erfahrung des sexuellen Missbrauchs verneinten, kamen bei genauerer Betrachtung Erinnerungen hoch, wie doch beispielsweise der nette Zahnarzt, der liebe Onkel, der Mann an der Ecke über die liebevolle Zuneigung sich zunächst das Vertrauen der jungen Mädchen erschlichen hat und plötzlich die Hände unter dem Röckchen hatten…der Exhibitionist, der sich plötzlich entblößte um sein Geschlechtsteil zu zeigen, der Cousin, der auf einer Familienfeier die Cousine auf eine Art und Weise küsste, die sonderbar anmutete. Ein Tabuthema über das man ein Leben lang aus Scham nicht spricht.
Den Kindern nicht zu glauben, ist ein weiterer Aspekt des Verschleierns. Im Beispiel des Zahnarztes hat sich das Mädchen hilfesuchend an die Mutter gewandt, die den Vorfall als Vorwand sah, dass das Mädchen Angst vor den Zahnbehandlungen habe und entschuldigte sich aufrichtig beim Arzt.
Zurückkehrend auf die fürsorglichen Eltern, die sich schwören: …wenn irgendjemand meinen Kleinen auch nur mit einem Finger zu Nahe kommt, dann bring`ich ihn um… sind genau diejenigen, die ihre Vorschusswut nicht in die Tat umsetzen. Aus Angst vor Bloßstellung und den Folgen des Aufdeckens beschließen sie vielmehr stärker auf ihr Kind zu achten und es nicht mehr alleine in die Nähe des Täters zu lassen.
Eine Mutter stürzte zum Haus des Kinderschänders in der Nachbarschaft, um für ihr Kind einzustehen. Doch auch diese ließ nach dem Gespräch mit der Ehefrau des Täters von weiteren Maßnahmen ab, nachdem die Ehefrau versicherte, dass ihr Mann abgesehen von der Absonderlichkeit, im Grunde genommen ein vorbildlicher Ehemann und Vater sei.
Wir von Tutor e.V. haben uns für 2018 ganz besonders auf die Fahnen geschrieben, dass dieser Tabuisierung Einhalt geboten werden muss. Kinder als unser höchstes Gut an Schutzbedürfnissen müssen in einem angstfreien, wertschätzendem Umfeld aufwachsen und haben das größte Recht sich bestmöglich zu entfalten. Mit unseren vielfältigen Aktionen wollen wir die Kinder innerlich stärken, sich gegen ihre Täter abzugrenzen, ihnen die Möglichkeiten aufzeigen ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Als eines unserer wichtigsten Themen bleibt nach wie vor die Aufklärungsarbeit in Zusammenarbeit mit den Kindertageseinrichtungen und Schulen. Interventionen mit den Institutionen und die Ausgestaltung der kindlichen Lebenswelt runden unser Geschäftsjahr 2018 ab.
1Vgl.: Florence Rush: Das bestgehütete Geheimnis- Sexueller Kindesmissbrauch, Original Titel: The Best Kept Secret
2http://www.sexualmedizin-kiel.org/ANL16.pdf